Die Stimme Erchings

Faszinierendes Theaterprojekt von udei e.V.

© Eva Oestereich

Nach Kafka, Siegfried, Romeo und Julia hat sich der Theaterverein udei e.V. unter Leitung des Hallbergmooser Künstlers und Regisseurs Thomas Goerge gemeinsam mit der Kuratorin des Museums Brandhorst, Sandra Dichtl, nun mit dem Stück „Voice of Erching“ der Hallbergmooser Senderwiese angenommen. 75 Hektar Grünland als Ausgangspunkt zahlreicher Geschichten, die Goerge miteinander verbindet.

Der lokale Bezug zu seiner Heimat Hallbergmoos inspirierte Goerge – wie bereits bei der Siegfried-Saga, die sich um den Hallbergmooser Ringer-Traditionsverein drehte – auch dieses Mal. Goerges halbjüdische Großtante Marga verdiente sich als Kuhhirtin auf der Senderwiese ein Taschengeld, der Komponist und Dozent an der Hallbergmooser Musikschule sowie Organisator der Hallbergmooser erstKlassik-Reihe, Vladimir Genin, kennt die Wiese aus dem Äther.

Als die US-Truppen von der 256 Meter hohen Antenne des Radiosenders „Voice of America“ bis nach Moskau sendeten, saß der junge Vladimir mit seinem Großvater in
der Datscha und hörte den Feindsender.

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Diese beiden Geschichten bildeten die Initialzündung für das Theaterprojekt im öffentlichen Landschaftsraum: „Ich bin hier immer wieder vorbeigeradelt und mir war klar, mit dieser Wiese muss ich was machen“, so Goerge.

Bayerischer Science-Fiction-Roman

Heraus kam eine außergewöhnliche Freilichtoper über die Geschichte der Wiese – eine Stilmischung aus Vorzeitsaga, Traumdeutung, historischem und
wissenschaftlichem Diskurs, ja ein bayerischer Science-Fiction-Roman. Außergewöhnliches ist man von Goerge, der an zahlreichen Theaterprojekten national und international an großen Schauspielhäusern zu Hause ist, im Jahr 2018 den Freisinger SZ-Tassilo-Kulturpreis gewann, ja gewohnt.

Historische Zeitreise

So beginnt er die historische Zeitreise mit der Geburt und Jugend der Wiese vor 4,6 Milliarden Jahren, als sie vom Äquator ihre Reise nach Norden, nach Hallbergmoos antritt, wo sie mehrmals den Besitzer wechselt bis zur Sendeanlage und letztlich zur Weide für Schafe wird. Gleichzeitig entspinnt George die Verbindungen: Zwischen seiner Großtante Marga, dem russischen Regisseur Eisenstein, Vladimir Genins Großvater Jossif Spinel, der als Maler und Bühnenbildner bei den Filmen ,Iwan der Schreckliche‘ und ,Alexander Newski‘ von Sergej Eisenstein mitwirkte. Über die Goldacher Burschen, die auf ihrem Weg zur Tafernwirtschaft die Wiese überqueren. Bis hin zu Josef Utzschneider, der die Sümpfe trockenlegte, und weiter zu Graf Hallberg, der die Armenkolonie gründete, den 18 auf der Wiese geschlagenen Eichen für das Freisinger Dom-Chorgestühl, dem Sitz des Blutgerichts, das im Jahr 1530 von Ismaning nach Erching wanderte, dem Flüchtlingsmarsch der KZ-Häftlinge, die ihre Kupferkabel verlegten und die Antennen aufbauten, bis diese am 13. Juni 1991 im Zuge des Flughafenbaus gesprengt wurde.

Ein Punkt, der immer noch sendet

Genau dort, auf dem heute geteerten kleinen Platz mitten in der Graslandschaft, baute Goerge das Zirkuszelt auf, 460 Meter ü. N.N., dort „am Mittelpunkt der Erde“, an einem Punkt, „der immer noch sendet“, so Goerge. Die Geschichte wurde bunt „bebildert“ mit Zeichnungen und Portraitfotos, Einlagen der Eleven der step by step-Ballettschule, die das Entstehen der Blumen tanzten, Artisten des Circus Feraro, die mit Messerwerfen und Lassoschwingen die amerikanische Zeit darstellten und akustisch untermalt vom
Hallbergmooser Kammerorchester.

Skurril und faszinierend zugleich

Teilweise skurril anmutend, jedoch jede Sekunde der gut zweieinhalb Stunden faszinierend und das Publikum fesselnd, formte George daraus sein „Voice of Erching“. Bedingt auch dadurch, dass der Regisseur in das Stück Amateure und Profis nebeneinander und gleichberechtigt agieren ließ. Schauspielgrößen – wie der durch das Stück als Magier ziehende Felix von Bredow, dem aus Fernsehserien bekannten Karl-Heinz Kirchmann als Kaiser. Ein mit Robert Ludewig als „Boandlkramer“ gemeinsam mit dem „Narren“ Korbinian Goerge wunderbares Duo (siehe Titelbild) finden ihre Rollen ebenso wie der ehemalige syrische Flüchtling aus Birkeneck, Saad Rascho Heidi.

Ebenso hochkarätig und allesamt weit über Hallbergmoos hinaus bekannt sind die Künstler und Erbauer der dezentralen Bühnenbilder: Anja von Wins mit dem Erchinger Altar, den die Besucher durchschreiten mussten, sowie Daniel Angermayr, Allun Turner, Karl Gößmann-Schmitt, die das Nord-, Ost- und Südtor erbauten. Nicht zuletzt Komponist, Dirigent und Pianist Richard van Schoor, der sich mit eigenen Opern einen Namen gemacht hat, am Stadttheater Gießen, Theater Trier, Opernbühne Bad Aibling arbeitete und als Solist international konzertierte.

Doch wem gehört denn nun die Senderwiese und was wird aus ihr? Ein Flughafen mit acht Startbahnen: einer „Donner“-Bahn, die als Ende der Seidenstraße bis zum Münchner Hauptbahnhof führt, eine Picknickdecke für die Megasurfanlage, eine Startbahn für zum Mond fliegende Raketen? Die Wiese reist auf jeden Fall weiter und wird vielleicht einmal von der Senderwiese zur Almwiese. Dann 2000 m.ü.N.N.

Sabina Brosch

Gesellschaft, Kultur, Veranstaltungen

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