Eine winzige Gasmaske für Kleinkinder, die Gebrauchsanweisung auf vergilbtem Papier. „Das macht einen sprachlos“, sagt Archivarin Martina Paringer im Rathausfoyer. Die Exponate der aktuellen Ausstellung zeigen schonungslos, wie tief die NS-Ideologie auch in bayerischen Kleingemeinden eindrang.
1929 wurde in Hallbergmoos über das „Gesetz gegen die Versklavung des deutschen Volkes“ abgestimmt. Zwölf Stimmen wurden abgegeben, elf davon mit Ja. „Auch hier war schon die Meinung da, dass der Erste Weltkrieg nicht gerecht verloren wurde“, erklärt die Ausstellungsleiterin. Ein Detail, das symptomatisch für die Stimmung war.
Wenn Bürokratie zur Waffe wird
Die Macht der Nationalsozialisten zeigte sich besonders im Alltäglichen. Da ist die Liste, in die sich alle Obstbaumbesitzer eintragen mussten – Teil der „Blut-und-Boden“-Ideologie. Oder das Erbhofgesetz, das Bauern vorschrieb, ihre Höfe nur an einen Erben zu vererben.
„Das sind einfach gesetzliche Bestimmungen, die sich vielleicht gut anhören, aber schwer bestraft wurden, wenn jemand ausgeschert ist“, warnt die Historikerin vor der Verpackung von Unrecht in scheinbar vernünftige Regelungen.
Die Ambivalenz der kleinen Leute
Bei der Reichspräsidentenwahl 1932 erhielt Hitler in Hallbergmoos immerhin 196 Stimmen, Hindenburg 378. „Man kann sich das gar nicht vorstellen, dass die Leute Adolf Hitler gewählt haben“, sagt die Historikerin. „Aber er hat bekanntlich eine gute Propaganda gehabt.“ Es ist eine der wichtigsten Botschaften dieser Schau: Die Vereinfachung des Urteils über die Vergangenheit wird der Komplexität der damaligen Situation nicht gerecht.
Besonders komplex wird die Bewertung bei örtlichen NSDAP-Funktionären. War der Ortsgruppenleiter überzeugter Nazi oder übernahm er das Amt nur, um zu verhindern, dass „scharfe Hunde“ von der Partei kamen? „Lieber übernimmt man das Amt und versucht, das Gröbste wegzuhalten“, vermutet Paringer über die Motivation des ein oder anderen damals. „Aber es hat halt auch nicht immer funktioniert.“
Nach dem Krieg musste jeder Deutsche über 18 einen 131-Fragen-Fragebogen ausfüllen. „Man kann anhand eines Fragebogens nicht feststellen, wie sehr jemand überzeugter Nazi ist“, gibt die Archivarin zu bedenken.
Kinder als Soldaten
Eindringlich wird die Schau bei der Hitlerjugend. Ab 1936 gab es praktisch keine Alternative zu der NS-Organisation, 1939 wurde die Mitgliedschaft Pflicht. „Man gibt den Kindern Gemeinschaft, Kameradschaft, Abenteuer“, beschreibt Paringer die verführerische Seite. „Und im Endeffekt hat man sie zu kleinen Soldaten erzogen.“ In den letzten Kriegsmonaten kamen 13- und 14-Jährige in den Volkssturm.
Die schwierige Aufarbeitung
Nach dem Krieg stand Deutschland vor einem Trümmerfeld – nicht nur physisch. Fritz Schäffer, der erste bayerische Ministerpräsident, beschrieb 1945 die Lage so: „Das Räderwerk der Lebensmittelversorgung schien hoffnungslos gestört zu sein, die Finanzen zeigten sich als tief zerrüttet.“ Doch neben dem materiellen kam der moralische Wiederaufbau. Jeder Deutsche über 18 Jahre musste einen 131-Fragen-Fragebogen ausfüllen. Über 12.000 Laienrichter sollten in Spruchkammern über Schuld und Sühne entscheiden.
„Man kann anhand eines Fragebogens nicht feststellen, wie sehr jemand überzeugter Nazi ist“, gibt Paringer zu bedenken. Es ist eine Erkenntnis, die bis heute nachwirkt: Wie misst man Schuld? Wie unterscheidet man zwischen Überzeugung und Opportunismus, zwischen Tätern und Mitläufern?
Mahnung für heute
Die Dokumente sind keine Hallbergmooser Besonderheit – sie finden sich überall in Deutschland. Gerade das macht sie so bedeutsam. Sie zeigen, dass der Nationalsozialismus nicht das Werk einer fernen Elite war, sondern bis in den letzten Winkel der Republik reichte. „So was darf nie wieder passieren“, mahnt Paringer. Doch sie warnt vor Selbstgefälligkeit: „Man muss immer schauen, dass solche Dinge schneller passieren, als man denkt.“
„Gerade heutzutage, wo die Demokratie wieder ins Wanken gerät, sollten wir nachdenken: Was ist die Demokratie wert?“ Bürgermeister Benjamin Henn findet klare Worte zur Eröffnung der Ausstellung über die NS-Zeit in seiner Gemeinde. 80 Jahre nach Kriegsende sei dies nicht nur eine Mahnung, sondern ein Aufruf zum „Innehalten an das, was geschah – und dass es nicht wieder geschieht.“